Neue EU-Vorgaben: So wirken sie sich auf die Technische Dokumentation aus

Veröffentlicht: 16.09.2024 Aktualisiert: 31.07.2025

Ob digitaler Produktpass, das Recht auf Reparatur oder Künstliche Intelligenz: Auf europäischer Ebene stehen aktuell und in den nächsten Jahren viele rechtliche Änderungen an. Welche neuen Vorgaben für die Technische Redaktionen jetzt relevant sind und wie Sie darauf am besten reagieren, erfahren Sie in diesem Blogbeitrag.

Die Welt befindet sich in der digitalen Transformation und mit ihr die globale Wirtschaft. Künstliche Intelligenz schafft neue Möglichkeiten. Sorgen um die Cybersicherheit steigen. Zugleich gewinnen in Zeiten des Klimawandels Nachhaltigkeitsaspekte an Bedeutung. Die Europäische Union reagiert mit neuen Rechtsvorschriften. Aktuell und in den nächsten Jahren sind Unternehmen daher mit einer Reihe von rechtlichen Veränderungen konfrontiert. Im Folgenden erfahren Sie, welche EU-weiten Richtlinien und Verordnungen insbesondere für Technische Redaktionen relevant sind, welche Herausforderungen Sie erwarten und wie Sie sich darauf optimal vorbereiten können.

Dieser Blogbeitrag greift die wichtigsten Punkte eines Quanos-Webinars mit Roland Schmeling, Geschäftsführer von Schmeling + Consultants, auf. Sein Beratungsunternehmen ist auf die Technische Kommunikation spezialisiert. Roland Schmeling ist zudem Mitglied im tekom-Beirat Recht und Normen und arbeitet international in der IEC an der Normenreihe 82079.

 

Diese EU-Rechtsvorschriften sind für die Technische Kommunikation relevant:

Ökodesign-Verordnung: Der digitale Produktpass kommt

  • Die neue Ökodesign-Verordnung fördert und fordert die umweltgerechte Gestaltung von Produkten, mit Ausnahme von Lebensmitteln und Arznei. Bei der Verordnung handelt es sich um ein übergeordnetes Regelwerk. Kriterien für einzelne Produktgruppen werden zusätzlich ausgearbeitet. Zwei wichtige Neuerungen, die auch die Technische Kommunikation betreffen, sehen die Ökodesign-Verordnung bzw. eine ergänzende Richtlinie vor:

  • Die Einführung des digitalen Produktpasses: Dabei handelt es sich um einen digitalen Datensatz rund um ein Produkt, zum Beispiel zu verwendeten Materialien, Informationen zur Reparierbarkeit, Ersatzteilen und der richtigen Entsorgung. Der Zugriff auf den digitalen Produktpass bietet Verbrauchern, Marktüberwachungsbehörden und allen Akteuren in der Wertschöpfungskette mehr Transparenz als bislang.
  • Das Recht auf ReparaturReparieren statt wegwerfen und neu kaufen – das ist das Ziel, das die EU-Kommission mit dem Recht auf Reparatur verbindet. Die Hersteller müssen Reparaturen erleichtern und werden in diesem Zug auch verpflichtet, die dazu notwendigen Informationen bereitzustellen. Eine zusätzliche Aufgabe, die Technische Redaktionen erwartet.

 

Das Single-Source-Prinzip, also eine gemeinsame Datenquelle im Unternehmen, wird aus diesem Grund wichtiger denn je. Zudem braucht es eine Zusammenarbeit jener Personen und Abteilungen, die mit Anleitungen, dem digitalen Produktpass, Etiketten, der Produktwebsite und der Verpackung befasst sind.

Beide Regelwerke sind zunächst für bestimmte Produkte anzuwenden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Regelungen nach und nach auf weitere Produkte ausgeweitet werden.

Aus der Ökodesign-Verordnung und der Richtlinie zum Recht auf Reparatur ergibt sich insgesamt ein erhöhter Bedarf an Technischen Informationen. Diese werden über mehrere Kanäle in jeweils spezifischen Formaten bereitgestellt. Zugleich müssen sie stets aktuell sein.

 

AI Act: Technische Dokumentation für Produkte mit KI

Der AI Act, das weltweit erste Gesetz zur Regulierung von KI, trat am 1. August 2024 in Kraft und wird schrittweise umgesetzt. Die Verordnung betrifft insbesondere Unternehmen, die Künstliche Intelligenz in Verkehr bringen, betreiben oder in ihren Produkten einsetzen. KI-Systeme werden im AI Act in vier Risikoklassen eingeteilt, für die unterschiedliche Pflichten und Anforderungen gelten, auch in Bezug auf die Technische Dokumentation. In vielen Fällen übersteigt der Informationsbedarf aber den aktuellen Umfang von üblichen Betriebsanleitungen. So müssen Nutzer beispielsweise transparent darüber informiert werden, wenn und wie Künstliche Intelligenz in einem Produkt eingesetzt wird. Auch über die Risiken dieser Verwendung müssen sie aufgeklärt werden. Das Positionspapier von tekom Europe zu diesem Thema informiert darüber im Detail.

 

Fazit: Nehmen Sie die Herausforderung an!

Mit den bereits verabschiedeten und geplanten Vorhaben reagiert die Europäische Kommission auf ein Marktumfeld, das sich aktuell massiv verändert. Für Unternehmen und Technische Redaktionen bedeutet dies neue Herausforderungen. In weiser Voraussicht sollten Sie sich schon heute aktiv mit diesen Entwicklungen auseinandersetzen, die Strategiearbeit anpacken und sich dafür zeitliche Freiräume im beruflichen Alltag schaffen. Nur so werden Sie praktische Lösungen entwickeln, die dann bereitstehen, wenn Sie sie wirklich brauchen.

 

Video: Rechtliche Veränderungen in der Technischen Kommunikation

 

Sämtliche Produkt- und Nutzerinformationen müssen den rechtlichen Anforderungen entsprechen. Nur so ist Haftungssicherheit durch die Bank gewährleistet. Die gilt auch für die Technische Redaktion – in Pre-Sales, im After-Sales als auch im Service. Doch wie soll man angesichts der Flut an Änderungen den Überblick behalten? Der Schlüssel ist eine passende Strategie! Mehr darüber erzählt Ihnen Roland Schmeling in unserem Video.

 

Webinaraufzeichnung ansehen

Produktsicherheitsverordnung: Jedes Produkt braucht eine Anleitung

Die Produktsicherheitsverordnung löste im Dezember 2024 die bisherige Richtlinie zur Produktsicherheit ab. Neu ist, dass die interne Risikoanalyse für Hersteller vorgeschrieben wird. Verpflichtend ist auch die Erstellung von technischen Dokumenten. Für Verbraucher müssen „klare Anweisungen und Sicherheitsinformationen“ zum Produkt beigefügt werden. Eine Ausnahme gibt es: „Diese Anforderung gilt nicht, wenn das Produkt auch ohne solche Anweisungen und Sicherheitsinformationen sicher und wie vom Hersteller vorgesehen verwendet werden kann.“ Nur zusätzlich zur gedruckten Anleitung können Hersteller Informationen digital zur Verfügung stellen.

 

Maschinenverordnung: Die Technische Dokumentation wird digital

Die neue Maschinenverordnung ist bereits verabschiedet, gilt mit dem im April 2024 aktualisierten Guide zur Maschinenrichtlinie bereits in Teilen und vollständig ab dem 20. Januar 2027. Es handelt sich um die Revision der bisherigen Maschinenrichtlinie. Die Verordnung ermöglicht die digitale Bereitstellung von Betriebsanleitungen, wenn an der Maschine, der Verpackung oder Begleitdokumenten ersichtlich ist, wie ein Nutzer darauf zugreifen kann. Hersteller müssen ein gedrucktes Exemplar aber auf Nachfrage in Papierform bereitstellen. Bei nicht professionellen Nutzern muss der Hersteller die Sicherheitsinformationen wie bislang weitgehend in gedruckter Form liefern.

Weitere Informationen erhalten Sie im tekom-Whitepaper zur neuen Maschinenverordnung, an dem Roland Schmeling mitgewirkt hat.

 

„Green Claims“-Richtlinie: Kein Raum mehr für „Green Washing”

Diese Richtlinie, die sich aktuell auf dem EU-Gesetzgebungsweg befindet, sieht Regelungen zu umweltbezogenen Werbeaussagen vor. Diese müssen wissenschaftlich belegt sein. Auch negative Umweltfolgen sollen benannt werden. Auf diese Weise möchte die EU-Kommission „Green Washing“ verhindern.

Für Technische Redaktionen kann aufgrund der neuen Richtlinie mehr Rechercheaufwand entstehen, um etwa einen umweltgerechten Umgang mit einem Produkt zu beschreiben. Außerdem ist eine Qualitätssicherung über alle Informationskanäle hinweg notwendig, um fehlerhafte Werbeaussagen zu verhindern.

 

Cyber Resilience Act: Cybersicherheit als Teil der Technischen Dokumentation

Mit dem Cyber Resilience Act verfolgt die Europäische Kommission das Ziel, die Cybersicherheit von Produkten, die mit dem Internet verbunden sind, zu erhöhen. Die Verordnung trat im Dezember 2024 in Kraft und wird in Etappen bis Dezember 2027 umgesetzt.

Hersteller müssen erhöhte Anforderungen erfüllen, um die sichere Verwendung ihrer Produkte zu gewährleisten. Nutzern wird es ermöglicht, den Aspekt der Cybersicherheit bei der Auswahl und Verwendung von Produkten mit einer digitalen Komponente zu berücksichtigen. Der Cyber Resilience Act hat Auswirkungen auf die Risikobeurteilung: Sie muss externe Einflüsse aus dem Netz auf die Produkte berücksichtigen. Auf die Technische Dokumentation kommt die zusätzliche Aufgabe zu, darüber zu informieren, wie die Cybersicherheit des Produkts gewährleistet wird, und die Risiken zu beschreiben.

 

So reagieren Sie auf die rechtlichen Veränderungen

Sie werden es bereits herausgelesen haben: In Zukunft wird der Technischen Dokumentation ein erhöhter Stellenwert zukommen. Die Informationsaufgaben werden umfangreicher. Zugleich passen sich die Regularien als Reaktion auf Veränderungen in dieser Welt dynamisch an, wodurch es regelmäßig zu neuen Vorgaben kommt.

Einige Empfehlungen, wie Sie dieser Dynamik als Unternehmen und insbesondere als Technische Redaktion begegnen können:

 

Product Compliance

Falls es sie in Ihrem Unternehmen noch nicht gibt: Führen Sie eine aktive Product Compliance ein, die die rechtlichen Vorgaben und ihre Veränderungen im Blick behält. Ein zentrales Anforderungsmanagement kann diese Rolle ausfüllen.

 

Zielgruppenanalyse

Analysieren Sie Ihre Zielgruppen. Mit den digitalen Möglichkeiten ändert sich das Mediennutzungsverhalten. Auf welchem Weg möchten Ihre Kunden technische Dokumente erhalten? Kennen Sie künftige Anforderungen und Erwartungen Ihrer Kunden und Anwenderinnen?

 

Verzahnung von Medien

Daran schließt sich die Frage an: Wie bereiten Sie die Informationen auf all Ihren Kanäle in geeigneten Formaten auf? Auch die Verzahnung von Medieninhalten wird wichtiger werden, um Kunden beispielsweise vom Etikett am Produkt zur Herstellerwebsite zu führen. Zudem verzahnen sich Produkte zunehmend mit den Informationen, weshalb beide koordiniert weiterentwickelt werden müssen.

 

Automatisierung

In Zeiten des Fachkräftemangels und sinkender Studierendenzahlen im Fach Technische Kommunikation sollten Sie die Chancen der Automatisierung nutzen. Künftig wird es kaum mehr möglich sein, in der Technischen Redaktion mit reinen Textverarbeitungsprogrammen zu arbeiten. Dabei muss die Tool-Landschaft der Technischen Kommunikation zunehmend in die unternehmensweite Systemlandschaft integriert sein.

 

Mitarbeiterqualifizierung

Setzen Sie auf Weiterbildung. Es entstehen neue Rollen und Aufgaben, für die Sie qualifiziertes Personal benötigen und welches Sie zunehmend aus verschiedensten Bereichen rekrutieren werden.

 

„Single Source“

Bringen Sie Ihre unternehmensinternen Datenpools zusammen, um eine einzelne Datenquelle zu schaffen. Ohne Terminologie und Ontologien als gemeinsame Sprache wird dies nicht funktionieren.

 

Qualitätssicherung

Richten Sie ein umfassendes Qualitätsmanagement ein, das die Einhaltung aller Anforderungen prüft und sich nicht auf sachliche Richtigkeit in technischen Dokumenten beschränkt. Nur umfassend qualitätsgesicherte Informationen halten der Vielschichtigkeit künftiger Anforderungen stand.

 

Organisationsmodell

Überdenken Sie Ihr aktuelles Organisationsmodell und passen Sie es so an, dass Sie die anstehenden Herausforderungen gut vorbereitet angehen können. Über welche Ressourcen verfügt Ihre Technische Redaktion? Wie ist sie organisiert? Welche Tools nutzt sie? Und welche Leistungen erbringt sie? Betrachten Sie Ihre Organisation auch über Abteilungsgrenzen hinweg.

 

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