Inklusive Sprache bei Eurocom und Kaleidoscope
Gendern, Antirassismus, Barrierefreiheit – das Thema inklusive Sprache hat viele Aspekte. Viele Unternehmen beschäftigt zurzeit deshalb die Frage, wie sie ihre Zielgruppen verantwortungsbewusst ansprechen können und wie sich ein Weg durch das Dickicht der sprachlichen Gestaltungsmöglichkeiten finden lässt. Simone Burel von der Linguistischen Unternehmensberatung LUB Mannheim und Anita Wilson, Geschäftsführerin von Kaleidoscope und Eurocom Translation Services berichten uns, wie sie gemeinsam diesen Weg gegangen sind.
Quanos CS: Herzlich willkommen bei uns und danke, dass ihr Zeit für das Interview gefunden habt. Lasst uns doch mit einer provokativen Frage anfangen: „Inklusive Sprache – braucht es das denn überhaupt?“
Simone Burel: Aber natürlich braucht es das. Es geht da ja nicht nur um eine Mode oder Ideologie. Es ist wissenschaftlich gut belegt, dass inklusive Sprache wirkt. Sprache lenkt unsere Aufmerksamkeit und schafft in unserem Kopf die Welt, in der wir leben. Ohne inklusive Sprache blenden wir also Teile der Gesellschaft aus.
Quanos CS: Und das wirkt sich wie aus?
Simone Burel: Auf ganz unterschiedliche Weise. Studien zeigen zum Beispiel, dass sich Kinder mehr Berufe zutrauen, wenn auch weibliche Berufsbezeichnungen genutzt werden. Oder bei Bewerbungen: Werden explizit auch Frauen angesprochen, dann bewerben sich mehr Frauen und sie werden auch als kompetenter erkannt und dementsprechend häufiger eingestellt.
Anita Wilson: Viele Zielgruppen fühlen sich durch gendergerechte Sprache besser angesprochen und wertgeschätzt. Je höher Bildungsgrad und Einkommen, desto stärker erwarten - ganz unabhängig vom Geschlecht – die Leute eine gendergerechte Sprache. Bei jungen Menschen zeigt sich das noch viel deutlicher: Mehr als 56 % der 18- bis 24-Jährigen halten eine geschlechtergerechte Sprache für wichtig. Ohne inklusive Sprache kommunizieren wir da einfach an unserem Publikum vorbei.
Quanos CS: Ist geschlechtergerechte Sprache und inklusive Sprache also dasselbe?
Simone Burel: Nein, geschlechtergerechte Sprache ist nur ein Teilaspekt der inklusiven Sprache. Hier geht es neben Fragen der geschlechtlichen Identität z. B. auch darum, keine rassistischen oder kolonialistischen Stereotype zu verbreiten oder Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen auszugrenzen. Letzten Endes geht es bei der inklusiven Sprache darum, Menschen in ihrer Diversität zu berücksichtigen, so wie dies zum Beispiel das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz oder das Protokoll Nr. 12 zur Europäischen Menschenrechts-Konvention vorgeben.
Quanos CS: Kommen wir nun einmal zur Einführung inklusiver Sprache bei Kaleidoscope und Eurocom. Wie kam es denn dazu, Anita?
Anita Wilson: Wie schon gesagt, mir war schon seit einiger Zeit bewusst, dass wir ohne inklusive Sprache an unseren Zielgruppen vorbeireden oder sie im schlimmsten Fall sogar verärgern. Deswegen war es für mich eigentlich logisch, dass wir als innovatives Unternehmen da etwas tun sollten. Das wirkt ja nach innen wie nach außen, ist also für das Employer Branding ebenso wichtig wie für die Team-Kommunikation. Und für uns in der Sprachdienstleisteung ist inklusive Sprache natürlich auch ein attraktiver Baustein in unserem Portfolio.
Quanos CS: Also der Wunsch war da. Aber wie kam es dann zur Umsetzung?
Anita Wilson: Nun, mir waren die Herausforderungen von dem Projekt durchaus bewusst. Denn natürlich waren nicht alle im Unternehmen sofort von der Idee begeistert. Inklusive Sprache ist zunächst ja auch ungewohnt und ein wenig mühsam. Letzten Endes war mir auch nicht klar, wo wir bei all den Content Types und Kommunikationsplattformen in unserem Unternehmen am besten anfangen sollen.
Deswegen war ich sehr froh, dass ich Simone kennengelernt habe. Sie hat uns überzeugt, weil sie linguistischen Sachverstand mit umfassendem Knowhow zu inklusiver Sprache verbindet. Außerdem wurde schnell deutlich, dass sie auch unsere Branche gut versteht.
Simone Burel: Umgekehrt hat mich die Anfrage sehr gefreut, weil es sich bei Eurocom auch um ein Multiplikator-Unternehmen handelt. Sie sorgen ja nicht nur für inklusive Sprache bei sich, sondern auch in den Unternehmen ihrer Kund:innen.
Ich habe bereits seit längerem Berührungspunkte mit der Welt der Technischen Kommunikation und Übersetzung. Ich arbeite da zum Beispiel auch mit einem Anbieter für kontrollierte Sprachsoftware zusammen. Da sind mir die Themen und Herausforderungen natürlich vertraut.
Quanos CS: Und wie seid ihr dann konkret vorgegangen?
Anita Wilson: Gestartet haben wir damit, dass wir im Unternehmen Leute gesucht haben, die sich ebenfalls für das Thema interessieren. Dann haben wir einen Workshop bei LUB Mannheim besucht. Da haben wir eine Menge Neues gelernt und wichtige Erkenntnisse bekommen. Die haben wir dann in einen Umsetzungsplan eingearbeitet. Und danach haben wir uns an die Umsetzung gemacht.
Quanos CS: Das hört sich einfach an. Trotzdem bleiben da sicher eine Menge Aufgaben. Wie seid ihr denn konkret vorgegangen?
Anita Wilson: Zunächst einmal haben wir einen Styleguide und andere unterstützende Dokumente erstellt. Dann sind wir an unsere unternehmensinterne Termbank gegangen und haben sie unter dem Blickwinkel inklusive Sprache optimiert. Außerdem haben wir uns nach Prüftools und technologischer Unterstützung umgesehen. Da gibt es so einiges z. B. genderapp.org.
Damit stand dann der Rahmen für die Umsetzung. Als nächstes sind wir die verschiedenen Content Types im Unternehmen angegangen. Auch da kommt eine ganze Menge zusammen, z. B. Stellenanzeigen, Case Studies, Handbücher... Deshalb haben wir die erst einmal alle erfasst und sie dann nach Wichtigkeit und geschätztem Aufwand priorisiert. Ja, und zu guter Letzt ging es dann in die konkrete Umsetzung.
Quanos CS: Habt ihr die Umsetzung denn schon abgeschlossen?
Anita Wilson: Wichtig war für uns, die Terminologie und die Prüftools zum Laufen zu bringen, was uns gut gelungen ist. Konkret sind wir gerade dabei, eines unserer hauseigenen Tools im Hinblick auf Checks von inklusiver Sprache zu erweitern. Das hilft ungemein bei der Überarbeitung und Umsetzung. Aber natürlich ist auch jetzt noch eine Menge zu erledigen.
Simone Burel: Die Erfahrung zeigt, dass inklusive Sprache einzuführen kein Projekt ist, das irgendwann einmal abgeschlossen ist. Das ist ein laufender Prozess; es werden ja immer wieder neue Inhalte erstellt oder es kommen neue Leute ins Team. Wichtig ist es, den Prozess zu unterstützen, z. B. durch Botschafter:innen für inklusive Sprache im Unternehmen oder durch ein Center of Excellence, das Best Practices zeigt.
Quanos CS: Danke, es war wirklich spannend einen Einblick in dieses Projekt zu bekommen. Noch eine Abschlussfrage: Hat sich das Ganze denn gelohnt?
Simone Burel: Ich bin beeindruckt, wenn ich sehe, was Eurocom in kurzer Zeit alles umgesetzt hat. Aus meiner Sicht lautet die Antwort auf jeden Fall Ja.
Anita Wilson: Auch ich kann das nur bestätigen. Unsere Kommunikation ist viel transparenter geworden. Das bekommen wir auch von Kund:innen und anderen Personen aus der Öffentlichkeit zurückgespiegelt. Wir haben unser Portfolio deutlich erweitert und von der Expertise, die wir aufgebaut haben, profitieren unsere Kund:innen in einem globalen Netzwerk. Wir sind sehr froh, dass wir die Herausforderung inklusive Sprache angenommen und bewältigt haben.
Quanos CS: Ganz herzlichen Dank für dieses interessante Interview!
Dr. Simone Burel und Anita Wilson
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