Varianten und noch mehr Varianten

Veröffentlicht: 22.03.2022 Aktualisiert: 22.11.2023

Varianten sind – da sind sich die meisten Technischen Redakteure einig – eine der größten Herausforderungen in der Technischen Redaktion. Aber woher kommen diese Varianten eigentlich und warum werden sie tendenziell im Lauf der Zeit immer mehr? Bringen wir ein wenig Licht in den Variantendschungel.

Im Wesentlichen gibt es drei Arten von Varianten in der Technischen Dokumentation: ungewollte, produktbedingte und kommunikative Varianten. Was ist damit gemeint?

  1. Ungewollte Varianten entstehen ganz naturgegeben im Lauf der Zeit, wenn wir keine Maßnahmen treffen, die das verhindern. Unterschiedliche Autoren formulieren denselben Sachverhalt auf unterschiedliche Weise. Dabei geht es nicht um Richtig oder Falsch. Beide Formulierungsvarianten können durchaus gleich gut sein, aber sie unterscheiden sich einfach voneinander. Dasselbe gilt auch, wenn immer dieselbe Redakteurin oder derselbe Redakteur an der Dokumentation arbeitet. Je nach Tagesform formulieren wir einmal so und das andere Mal so. Und schon ist wieder eine Variante entstanden.

    Natürlich werden diese Varianten mit der Zeit zu einem immer größeren Problem. Sie verwirren die Nutzer der Anleitungen, verursachen unnötigen Pflegeaufwand und treiben die Übersetzungskosten nach oben. Deshalb versuchen Technische Redaktionen, diese unerwünschte Variation durch Standardisierung und Modularisierung in den Griff zu bekommen. Component Content Management Systeme (CCMS) sind hier das Mittel der Wahl, um mit modularen Anleitungen bequem umgehen zu können.
     
  2. Die zweite Form der Variation ist die produktbedingte Variation. Normalität in heutigen Unternehmen ist es, dass sie über eine breite Palette von Modellen verfügen. Jedes Modell ist dann wieder in einer ganzen Reihe von Versionen verfügbar. Oft sind Produkte sogar individuell konfigurierbar. Im Automobilbau heißt es oft, dass sich zwei identisch konfigurierte Fahrzeuge in der Realität nie begegnen werden, weil es dafür einfach zu viele Konfigurationsmöglichkeiten gibt. Diese hohe Zahl der Produktvarianten hat selbstverständlich auch Konsequenzen. Denn jede Produktfunktionalität und jede Konfiguration muss auch in der Dokumentation abgedeckt sein.

    Viele Kunden erwarten, dass die Dokumentation exakt zu dem gekauften Produkt passt. Das heißt umgekehrt, dass die verschiedenen Produktvarianten nicht in einem generischen Dokument abgedeckt werden können. Durch eine genaue Analyse der Konfigurationsoptionen lässt sich zwar herausfinden, welche Varianten sich gegenseitig ausschließen (z. B. ein AdBlue-Tank für Benzinfahrzeuge). Dennoch bleiben für die Dokumentation eine große Anzahl an Varianten zu bewältigen. Letzten Endes muss also für jedes verkauft Produkt eine eigene Anleitung geschrieben werden.
     
  3. Die dritte und komplexeste Quelle für Dokumentationsvarianten sind die kommunikativen Varianten. Für diese gibt es verschiedene redaktionelle Gründe. Zum einen unterscheiden sich Anleitungen zum selben Produkt je nachdem für wen sie gedacht sind. Eine Pflegeanleitung für Endanwender sieht anders aus als die Wartungsanleitung für den Servicetechniker. Dann unterscheiden sich Anleitungen je nach dem Produktlebenszyklus, für den sie gedacht sind: Transportanleitungen, Aufstellhinweise, Installationshandbücher, Betriebsanleitungen, Entsorgungsanleitungen (und noch vieles mehr). Außerdem muss jede dieser Varianten bei exportierenden Unternehmen in die jeweiligen Zielsprachen übersetzt werden. Diese Form der Variation wird in der Technischen Redaktion oft als „Dimensionen“ bezeichnet.

    Übrigens: Oft reicht die Übersetzung in eine Sprache nicht einmal aus. Zum einen gibt es auch bei den Zielsprachen Varianten (z. B. britisches Englisch und amerikanisches Englisch). Zum anderen kommen in den Zielmärkten auch noch unterschiedliche Normen und technische Standards (z. B. unterschiedliche Stromstecker in englischsprachigen Ländern) hinzu, die in den Anleitungen berücksichtigt werden. Und als wäre das alles noch nicht genug, werden Anleitungen selbstverständlich auch noch für unterschiedliche Medien (print, Web, mobile Anwendungen usw.) produziert.

Sie sehen, Varianten gibt es in der Dokumentation mehr als genug. Zu guter Letzt wollen wir noch eine Sache ansprechen, die diese ganze Variantenvielfalt letztlich zum Explodieren bringt: Jeder Grund für eine Variante multipliziert sich mit allen anderen Varianten. Die Zahl der Varianten wächst also exponentiell. Ein kleines Beispiel kann das verdeutlichen. Nehmen Sie ein Unternehmen, das ein Produkt für eine Zielgruppe in zwei Zielmärkten herstellt. Das bedeutet, es gibt zwei Handbuchvarianten (z. B. deutsch und englisch). Stellt dasselbe Unternehmen zwei Produkte für zwei Zielgruppen und für drei Zielmärkte her, dann braucht es bereits zwölf Dokumentationsvarianten. Soll das Ganze nun gedruckt und online ausgeliefert werden, steigt die Zahl auf 24 und so geht das immer weiter.

Vielleicht schwirrt Ihnen nun der Kopf nach all den verschiedenen Optionen und der vielfältigen Variation. Dann können wir nur sagen: „Willkommen in wunderbaren Alltag der Technischen Redaktion!“ Selbstverständlich lassen sich die verschiedenen Varianten aber irgendwie doch bewältigen – schließlich sind Technische Redaktionen voll von Superheldinnen und Superhelden.

Sie möchten es noch genauer wissen?

In unserem Webinar zum Thema "Variantenvielfalt in der Technischen Dokumentation meistern" zeigt Herr Gruber-Barowitsch ganz praxisnah, wie Varianten von Stufe 0 bis 5 identifizieren. Das sollten Sie nicht verpassen!

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