Semantik in der Technischen Dokumentation

Semantik geistert als Schlagwort immer wieder durch die Technikwelt. „Semantisches Web“ oder „semantisches Wissensmanagement“ sind Begriffe, die intensiv diskutiert werden. Doch was ist mit „Semantik“ eigentlich gemeint und welche Rolle spielt Semantik in der Technischen Redaktion?

Die Semantik von Semantik

Semantik ist die Lehre von der Bedeutung. Das heißt sie untersucht wie wir Wörter verstehen und welche Bedeutungszusammenhänge es zwischen Wörtern gibt.

So weit, so einfach. Doch warum ist dann Semantik ein Thema in der Technik? Zum einen, weil ohne Semantik ein leistungsfähiger Zugang zu Inhalten nur schwer möglich ist. Erst Semantik erschließt Content intuitiv. Semantik hilft auch, Inhalte besser maschinenlesbar und -verwaltbar zu machen. Zum anderen ist aber Semantik auch deshalb ein Dauerbrenner in der IT, weil es mit der Bedeutung gar nicht so einfach ist, wie man im ersten Moment vielleicht meint. Wörter ändern zum Beispiel ihre Bedeutung, je nachdem in welchem Kontext man sie verwendet. „Mutter“ wird in einer Schwangerschaftsbroschüre anders verstanden werden als in der Aufbauanleitung für eine Maschine. Umgekehrt wird dieselbe Bedeutung oft auch mit mehreren Wörtern ausgedrückt. Ein „Abschluss-Deckel“ wird dann auch als „Abdeckdeckel“ benannt oder der „Schraubenzieher“ als „Schraubendreher“.

Semantik in der Technischen Redaktion

Technische Redaktionen kennen diese Problematiken. Deshalb beschäftigen sich viele von ihnen schon seit langem mit Terminologie. Hier wird eindeutig festgelegt, was ein Begriff bedeutet und mit welchen Wörtern auf den Gegenstand, für den der Begriff steht, Bezug genommen wird.

Bisher waren in Technischen Redaktionen die Gründe für Terminologiearbeit meist zwei Punkte: 1. Die Ausdrucksweise in den Texten soll konkret und präzise sein, so dass es zu keinen Missverständnissen kommen kann. Und 2. soll eine gut gepflegte Terminologie dazu beitragen, dass Übersetzungen schnell und einfach erstellt werden können.

Seit einiger Zeit kommt aber ein weiterer Aspekt zur Terminologiearbeit und den damit verbundenen Bedeutungsdefinitionen hinzu. Denn Smart Information und der Trend zur Digitalisierung fordern mehr Semantik in den Content-Pools. Erst durch explizite und sehr spezifische Semantik können die Informationen in unterschiedlichen Kontexten automatisch adressiert und verwendet werden. Um das zu erreichen, braucht es ein wenig ausgefeiltere Organisationsprinzipien als in der herkömmlichen Terminologiearbeit.

Semantisch organisieren

Begriffe und Bedeutungen lassen sich nach verschiedenen Prinzipien organisieren. Diese Prinzipien werden oft als die sogenannte „semantische Treppe“ dargestellt. Je höher ein Organisationsprinzip auf der Treppe angesiedelt ist, desto mehr Semantik enthält auch das Modell (und desto mehr Aufwand muss in die Erstellung gesteckt werden).

Auf der untersten Stufe steht die Organisation von Bedeutungen in einem Glossar. Dies ist eine einfache Sammlung von Wörtern und den dazugehörigen Erklärungen. Glossare werden bereits heute in vielen Unternehmen verwendet. Eine Stufe höher stehen die Taxonomien. Hier werden nicht nur Wörter erfasst, sondern sie werden in eine – nicht näher spezifizierte – hierarchische Struktur gebracht. Taxonomien kommen übrigens im Content Management häufig zum Einsatz.

Ein Thesaurus wiederum ist ein kontrolliertes Vokabular für Konzepte, die zueinander in einer hierarchischen Beziehung als Oberbegriff und Unterbegriff stehen. Semantische Netze markieren zusätzliche Begriffsbeziehungen über rein hierarchische Relationen hinaus. Dies können beispielsweise Beziehungen sein wie „Gegenteil“, „X enthält Y“, oder auch „X geeignet für Y“. Auf der obersten Stufe stehen schließlich die Ontologien. Sie sind explizite, formale Spezifikationen einer gemeinsamen Konzeptualisierung. Im Idealfall können Ontologien so sämtliche Bedeutungsbeziehungen eines Themengebiets abdecken.

Der Nutzen der Semantik

Natürlich soll und kann die Aufstellung eines semantischen Modells kein Selbstzweck sein. Tatsächlich bieten die Modelle aber eine ganze Reihe von nützlichen Anwendungen. Der Basisnutzen liegt natürlich wie bisher in der Terminologie. Darüber hinaus lassen sich aber auch Informationsmodelle erstellen, mit der sich die Contentstrategie der Technischen Redaktion untermauern lässt. Auch für Metadatenmodelle und das Metadaten-Mapping ist Semantik sinnvoll.

Beim Umstieg auf ein neues Redaktionssystem ist die Altdatenübernahme ein wichtiger Faktor. Hier lassen sich durch eine geeignete Semantik bestehende Inhalte automatisch klassifizieren. Sobald die Inhalte mit zusätzlichen Metadaten angereichert sind, lassen sie sich auch leicht und flexibel bereitstellen. Egal ob Service-App, Expertensystem, Chatbot oder eine komplette -Content Delivery Lösung: Mit Semantik lassen sich die Inhalte bequem und automatisiert ausspielen. Den wohl mächtigsten Nutzen entfaltet Semantik allerdings im unternehmensweiten Einsatz, wenn Firmen auf Industrie 4.0 setzen. Hier ist es die Basis für Condition Monitoring und Predictive Maintenance. Sie stellt somit das inhaltliche Gerüst für den viel diskutierten „Digital Information Twin“ bereit.

Semantik ist also ein Herzstück für moderne Technische Kommunikation. Sie bereitet den Weg für flexible Informationsbereitstellung und die Integration des Contents in Maschinen und Prozesse. Für Technische Redakteure lohnt es sich deshalb, sich mit semantischen Modellen auseinanderzusetzen.

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