Sprachverwendung wirkt sich auf das Image aus
Für Unternehmen ist das nicht nur eine Frage der sozialen Verantwortung. Inklusive Sprache hat auch eine ökonomische Komponente. So definieren gerade junge Erwachsene der Gen Z ihre Geschlechtsidentität besonders vielfältig; darüber hinaus versteht sich fast ein Drittel als nicht heterosexuell. Nicht zu gendern, lässt Unternehmen in den Augen dieser Zielgruppe schnell altmodisch erscheinen. Nachteile bei der Suche nach jungen Talenten drohen, die Kundschaft fühlt sich nicht angesprochen und kauft Konkurrenzprodukte. Die Unternehmenskultur leidet und die Belegschaft ist unzufrieden – die Konsequenzen wirken sich ökonomisch auf vielen Ebenen aus.
Gendern ist mehr als ein Sternchen
Fast alle glauben, genau zu wissen, was Gendern ausmacht: ungewöhnliche Schreibweisen mit Binnen-Doppelpunkt oder Sternchen. Tatsächlich ist Gendern aber mehr als das. Gendern hat drei Aspekte:
- Grammatisches Gendern:
Hier geht es um verschiedene Schreibweisen für geschlechtsneutrale bzw. -spezifische Wörter. Solche Schreibweisen können Sonderschreibungen sein. Sie können aber auch in Paarformen (Nutzer und Nutzerinnen) oder in der Vermeidung von geschlechtsbezogenen Wörtern („Abteilungsleitung“ statt „Abteilungsleiter“) bestehen. - Diskriminierende Wörter:
Hier geht es darum, einseitig abwertende oder aufwertende Begriffe zu vermeiden, zum Beispiel Putzfrau, Manpower. - Stereotype:
Dieser Aspekt soll sicherstellen, dass in Wort und Bild keine stereotypen Äußerungen getroffen werden, zum Beispiel der Mann geht zur Arbeit, während die Frau die Kinder für die Schule fertig macht.
Als Strategien für das Gendern bieten sich sowohl die Vermeidung von problematischen Sprachinhalten an als auch das Sichtbarmachen von anderen Geschlechtsidentitäten, wenn diese bislang durch die Sprache unberücksichtigt blieben.
Sprachgebrauch ist nie neutral – auch nicht im generischen Maskulinum
Dennoch: Bislang existiert kein allgemein akzeptierter Standard für gendergerechte Sprache. Dies führt dazu, dass Schreibende stets aufs Neue Entscheidungen zum gendergerechten Sprachgebrauch treffen und Position beziehen müssen, wie sie zu der Debatte stehen. Denn es gibt hier keine neutrale Haltung: Bestimmte Stilmittel für das Gendern zu verwenden, ist ebenso eine Aussage wie das sogenannte generische Maskulinum einzusetzen. Beide Entscheidungen können gleichermaßen auf Kritik stoßen. Vielfach fühlen sich Schreibende deshalb allein gelassen.
Inklusive Sprache: Obacht auch bei bestimmten Begriffen und Redewendungen
Inklusive Sprache ist mehr als nur verschiedene Geschlechtsidentitäten zu berücksichtigen. Diversität existiert auf vielen Ebenen und mangelnde Wertschätzung drückt sich aus historischen Gründen in vielen Redewendungen aus.
So ist die deutsche Sprache von vielen Redewendungen durchsetzt, die ältere kolonialistische und rassistische Haltungen wiedergeben. Die Debatte um „Schokoküsse“ wird in der Öffentlichkeit noch immer bewegt geführt; daneben stehen aber auch andere Ausdrücke wie „getürkt“, „Das kommt mir Spanisch vor“, „einen polnischen Abgang machen“. Solche Ausdrücke transportieren Misstrauen und Abwertung gegenüber anderen Nationalitäten.
Ähnlich sieht es aus mit Ausdrücken, die Menschen aufgrund körperlicher oder geistiger Einschränkungen abwerten. Auch hier ist Feingefühl gefragt: „Ich finde das total behindert!“ ist ebenso unangemessen wie jemanden als „Krüppel“ oder „Spast“ zu bezeichnen. 7,9 Millionen Menschen in Deutschland sind schwerbehindert. Solche Abwertungen treffen also einen großen Teil der Bevölkerung. Dabei kann auch scheinbar gut Gemeintes verletzend wirken: „Frau Meier ist an den Rollstuhl gefesselt“, ist solch eine Aussage. Denn sie unterstellt Frau Meier, dass sie unter ihrer Situation leidet und hilflos ist, während sie selbst den Rollstuhl vielleicht gerade als etwas wahrnimmt, was ihr Freiheit gibt und ihre Autarkie stärkt.
Praxisbeispiel: Wie Eurocom und Kaleidoscope inklusive Sprache einführten
Viele Unternehmen beschäftigt zurzeit deshalb die Frage, wie sie ihre Zielgruppen verantwortungsbewusst ansprechen können und wie sich ein Weg durch das Dickicht der sprachlichen Gestaltungsmöglichkeiten finden lässt. Dr. Simone Burel von der Linguistischen Unternehmensberatung LUB Mannheim und Anita Wilson, Geschäftsführerin von Kaleidoscope und Eurocom Translation Services, berichten im Interview, wie sie gemeinsam diesen Weg gegangen sind.
Lasst uns mit einer provokativen Frage anfangen: Inklusive Sprache – braucht es das überhaupt?
Simone Burel: Aber natürlich braucht es das. Es geht nicht nur um eine Mode oder Ideologie. Es ist wissenschaftlich gut belegt, dass inklusive Sprache wirkt. Sprache lenkt unsere Aufmerksamkeit und schafft in unseren Köpfen die Welt, in der wir leben. Ohne inklusive Sprache blenden wir also Teile der Gesellschaft aus.
Und das wirkt sich wie aus?
Simone Burel: Auf ganz unterschiedliche Weise. Studien zeigen zum Beispiel, dass sich Kinder mehr Berufe zutrauen, wenn auch weibliche Berufsbezeichnungen genutzt werden. Oder bei Bewerbungen: Werden explizit auch Frauen angesprochen, bewerben sich mehr Frauen und sie werden auch als kompetenter erkannt und dementsprechend häufiger eingestellt.
Anita Wilson: Viele Zielgruppen fühlen sich durch gendergerechte Sprache besser angesprochen und wertgeschätzt. Je höher Bildungsgrad und Einkommen, desto stärker erwarten die Leute – unabhängig vom Geschlecht – eine gendergerechte Sprache. Bei jungen Menschen zeigt sich das noch viel deutlicher: Mehr als 56 Prozent der 18- bis 24-Jährigen halten eine geschlechtergerechte Sprache für wichtig. Ohne inklusive Sprache kommunizieren wir an unserem Publikum vorbei.
Sind geschlechtergerechte Sprache und inklusive Sprache dasselbe?
Simone Burel: Nein, geschlechtergerechte Sprache ist nur ein Teilaspekt der inklusiven Sprache. Hier geht es neben Fragen der geschlechtlichen Identität zum Beispiel auch darum, keine rassistischen oder kolonialistischen Stereotype zu verbreiten oder Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen auszugrenzen. Letzten Endes geht es bei der inklusiven Sprache darum, Menschen in ihrer Diversität zu berücksichtigen, so wie dies zum Beispiel das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz oder das Protokoll Nr. 12 zur Europäischen Menschenrechtskonvention vorgeben.
Wie kam es dazu, dass Kaleidoscope und Eurocom inklusive Sprache eingeführt haben?
Anita Wilson: Mir war schon seit einiger Zeit bewusst, dass wir ohne inklusive Sprache an unseren Zielgruppen vorbeireden oder sie im schlimmsten Fall sogar verärgern. Deswegen war es für mich logisch, dass wir als innovatives Unternehmen etwas tun sollten. Das wirkt nach innen wie nach außen, ist also für das Employer Branding ebenso wichtig wie für die Team-Kommunikation. Und für uns in der Sprachdienstleistung ist inklusive Sprache natürlich auch ein attraktiver Baustein in unserem Portfolio.
Wie ging es dann weiter?
Anita Wilson: Mir waren die Herausforderungen des Projekts durchaus bewusst. Denn natürlich waren nicht alle im Unternehmen sofort von der Idee begeistert. Inklusive Sprache ist zunächst ungewohnt und ein wenig mühsam. Letzten Endes war mir auch nicht klar, wo wir bei all den Content Types und Kommunikationsplattformen in unserem Unternehmen am besten anfangen.
Deswegen war ich sehr froh, dass ich Simone kennengelernt habe. Sie hat uns überzeugt, weil sie linguistischen Sachverstand mit umfassendem Know-how zu inklusiver Sprache verbindet. Außerdem wurde schnell deutlich, dass sie unsere Branche gut versteht.
Simone Burel: Umgekehrt hat mich die Anfrage sehr gefreut, weil es sich bei Eurocom auch um ein Multiplikator-Unternehmen handelt. Sie sorgen ja nicht nur für inklusive Sprache bei sich, sondern auch in den Unternehmen ihrer Kund:innen.
Ich habe bereits seit Längerem Berührungspunkte mit der Welt der Technischen Kommunikation und Übersetzung. Ich arbeite zum Beispiel auch mit einem Anbieter für kontrollierte Sprachsoftware zusammen. Da sind mir die Themen und Herausforderungen natürlich vertraut.
Wie seid ihr dann konkret vorgegangen?
Anita Wilson: Gestartet sind wir damit, dass wir im Unternehmen Leute gesucht haben, die sich ebenfalls für das Thema interessieren. Dann haben wir einen Workshop bei LUB Mannheim besucht. Da haben wir eine Menge Neues gelernt und wichtige Erkenntnisse bekommen. Die haben wir dann in einen Umsetzungsplan eingearbeitet. Und danach haben wir uns an die Umsetzung gemacht.
Das hört sich einfach an. Trotzdem bleiben sicher eine Menge Aufgaben …
Anita Wilson: Zunächst einmal haben wir einen Styleguide und andere unterstützende Dokumente erstellt. Dann sind wir an unsere unternehmensinterne Termbank gegangen und haben sie unter dem Blickwinkel inklusive Sprache optimiert. Außerdem haben wir uns nach Prüftools und technologischer Unterstützung umgesehen. Da gibt es einiges, zum Beispiel genderapp.org.
Damit stand der Rahmen für die Umsetzung. Als nächstes sind wir die verschiedenen Content Types im Unternehmen angegangen. Auch da kommt eine ganze Menge zusammen: Stellenanzeigen, Case Studies, Handbücher ... Deshalb haben wir diese erst einmal alle erfasst und sie dann nach Wichtigkeit und geschätztem Aufwand priorisiert. Zu guter Letzt ging es dann in die konkrete Umsetzung.
Habt ihr die Umsetzung schon abgeschlossen?
Anita Wilson: Wichtig war für uns, die Terminologie und die Prüftools zum Laufen zu bringen, was uns gut gelungen ist. Konkret sind wir gerade dabei, eines unserer hauseigenen Tools im Hinblick auf Checks von inklusiver Sprache zu erweitern. Das hilft ungemein bei der Überarbeitung und Umsetzung. Aber natürlich ist auch jetzt noch eine Menge zu erledigen.
Simone Burel: Die Erfahrung zeigt, dass inklusive Sprache einzuführen kein Projekt ist, das irgendwann einmal abgeschlossen ist. Es ist ein laufender Prozess; es werden ja immer wieder neue Inhalte erstellt oder es kommen neue Leute ins Team. Wichtig ist, den Prozess zu unterstützen, zum Beispiel durch Botschafter:innen für inklusive Sprache im Unternehmen oder durch ein Center of Excellence, das Best Practices zeigt.
Eine Abschlussfrage: Hat sich das Ganze gelohnt?
Simone Burel: Ich bin beeindruckt, wenn ich sehe, was Eurocom in kurzer Zeit alles umgesetzt hat. Aus meiner Sicht lautet die Antwort auf jeden Fall ja.
Anita Wilson: Auch ich kann das nur bestätigen. Unsere Kommunikation ist viel transparenter geworden. Das bekommen wir auch von Kund:innen und anderen Personen aus der Öffentlichkeit zurückgespiegelt. Wir haben unser Portfolio deutlich erweitert und von der Expertise, die wir aufgebaut haben, profitieren unsere Kund:innen in einem globalen Netzwerk. Wir sind sehr froh, dass wir die Herausforderung inklusive Sprache angenommen und bewältigt haben.
Sie möchten das Interview gerne in voller Länge hören?
Simone Burel und Anita Wilson sprachen im Quanos-Podcast Doku Lounge über ihr gemeinsames Projekt:
I’m going to start by playing devil’s advocate: Is inclusive language something we really need?
Simone Burel: We absolutely do. This isn’t just a trend or an ideology. There’s solid scientific evidence to show that inclusive language works. Language focuses our attention and creates the world we live in in our heads. So if our language isn’t inclusive, we are ignoring parts of society.
And what impact does that have?
Simone Burel: It has a number of very different effects. Studies show, for example, that children feel more careers are within their reach when female job titles are used. Or in the case of job applications, more women apply when the post is explicitly written to address women. And they are also recognized as being more capable and are therefore hired more often.
Anita Wilson: Many target groups feel that they are truly addressed and valued when gender-appropriate language is used. Higher levels of education and income track with higher expectations for gender-appropriate language – regardless of gender. This is even more evident among young people, where more than 56 percent of 18 to 24-year-olds consider gender-neutral language to be important. Without inclusive language, our communications won’t have the desired impact with our audience.
Are gender-neutral language and inclusive language the same thing?
Simone Burel: No, gender-neutral language is just one aspect of inclusive language. Besides issues around gender identity, this also involves, for example, not perpetuating racist or colonialist stereotypes or excluding people with physical or mental disabilities. Ultimately, inclusive language is about considering people in all their diversity, as stipulated, for example, by the General Equal Treatment Act or Protocol No. 12 to the European Convention on Human Rights.
Why did Kaleidoscope and Eurocom decide to start using inclusive language?
Anita Wilson: I had been aware for some time that without inclusive language, we might not be reaching our target groups or, in the worst case, even upsetting them. So it made sense to me that we, as an innovative company, should take action. Inclusive language has an impact both internally and externally, so it’s equally important for employer branding as it is for team communication. And because we work in language services, inclusive language is of course an attractive component in our portfolio as well.
So what happened next?
Anita Wilson: I knew the project would be challenging, because not everyone in the company was immediately enthusiastic about the idea, of course. Inclusive language is unfamiliar and takes some effort at first. At the end of the day, I wasn’t sure where to start with all the types of content and communication platforms we have in our company.
So I was really happy when I met Simone. We felt confident working with her because she brings a knowledge of linguistics together with in-depth expertise on inclusive language. And it also quickly became clear that she really understands our industry.
Simone Burel: For my part, I was really pleased to receive Eurocom’s inquiry because they also act as multipliers. If they are using inclusive language in their company, then their customers’ companies are as well.
I’ve been working in the world of technical communication and translation for some time now, which also includes partnering with a provider of controlled speech software. So I’m familiar with the issues and challenges in this field.
What approach did you take exactly?
Anita Wilson: We started by looking for people in our company who were also interested in this topic. We then attended a workshop at LUB Mannheim, where we learned lots of things that were new to us. This also gave us some important insights, which we incorporated into an implementation plan. After that, we got to work with the implementation.
That sounds simple. But it still must have been a lot to do.
Anita Wilson: The first step was putting together a style guide and other supporting documents. We then moved on to our internal termbase and made adjustments there with inclusive language in mind. We also looked for testing tools and technological support. There are a number of options out there, such as genderapp.org.
This gave us the framework for the whole initiative. Next, we tackled the different content types in the company. There was quite a lot to look at here too, including job advertisements, case studies, manuals, and so on. So we started by making a list of everything and then set priorities according to importance and how much work was expected. Finally, it was time to implement our plan.
Have you already finished the implementation stage?
Anita Wilson: One important aspect for us was getting the terminology and testing tools up and running, which went very well. Right now, we are in the process of expanding one of our in-house tools to include inclusive language checks. This is a huge help in terms of revision and implementation. But there’s still a lot to do, of course.
Simone Burel: Experience has shown that introducing inclusive language isn’t a project that will be completed at some point. It’s an ongoing process, because you’re always creating new content or bringing new people on board. The important thing is supporting the process, for example by appointing ambassadors for inclusive language in the company or setting up a center of excellence that demonstrates best practices.
One last question: Was it all worth it?
Simone Burel: I’ve been really impressed to see what Eurocom has achieved in a short space of time. From my point of view, the answer is definitely yes.
Anita Wilson: I can only agree. Our communication has become much more transparent, and that’s something we’re also hearing back from customers and other members of the public. We’ve made a significant expansion to our portfolio, and our customers benefit from the expertise we have built up as part of a global network. We’re really happy that we tackled the challenge of inclusive language – and made it happen.